10 Jahre Erotic Art Museum

Das reizvolle Thema Erotik inspirierte Künstler von jeher. In allen Kunstarten gab und gibt es erotische Darstellungen. Doch keine andere Kunstform spricht direkter an als Zeichnung und Plastik. Schau-Lust pur, die aber bis in unsere Tage wenigen Privatleuten vorbehalten blieb. Denn für die Öffentlichkeit blieben diese Schätze leider verborgen. Die Idee, solche Kunstwerke einem großen Publikum vorzustellen, hegte der Initiator Claus Becker. Ganz privates für jedermann: Was früher klammheimlich hinter Schloss und Riegel verschwand, intime Boudoirs schmückte, im Verborgenen blühte, ist jetzt für alle zu sehen. Die weltweit größte, öffentlich zugängliche Sammlung erotischer Kunst. Welcher Schauplatz eignet sich da besser als der berühmt-berüchtigte Kiez. In der Bernhard-Nocht-Straße 69 öffnete am 11. November 1992 das Erotic Art Museum seine Pforten für die Öffentlichkeit. Mit den Worten der ehemaligen Hamburger Kultursenatorin Dr. Christina Weiss, die lange Zeit schützend ihre Hände über diese Einrichtung hielt, und der programmatischen Rede von Tomi Ungerer: „Geschlecht ist nicht so schlecht“. Seine Worte geben dem EAM bis heute die „Magna Charta“, die Guide-Line vor. Vor diesem Hintergrund erklärt sich übrigens auch die Wirkung des Ungerer-Raumes im EAM: sakrale Atmosphäre wie in einer intimen Landkirche.
1997 zog das Erotic Art Museum dann ans Nobistor.
Neben der festen Ausstellung hinaus gab es mehr als 60 Sonderausstellung aus den Bereichen erotische Malerei, Comic und Fotografie. Die mehr als zwei Millionen Besucher haben das Museum zu einer festen Institution in Deutschland gemacht.

Zum 10-jährigen Geburtstag ging es nun zurück zu den Wurzeln, an die Gründungsstätte Bernhard-Nocht-Straße 69 (soixante-neuf). Ein Schelm, der sich dabei Böses denkt.


Tomi Ungerer – der Wortlaut seiner Eröffnungsrede

am 11. November 1992 (Auszug)

Sehr geehrte Mösen und Stangen, in unser biblischen Gesellschaft bauen Katholiken Kathedralen, Protestanten Missionsstationen und die Juden Synagogen. – Wo sie oder wir Hölle und Himmel bewerten und wo Frieden auf Erden in Anspruch genommen wird.

Jetzt, seit heute, hat die Sexualität ihren Tempel. Ein Ort der Sinnlichkeit gewidmet und wo dienormalste und schönste aller Körperfunktionen in erotischer Spiritualität beehrt werden kann. Keine Hinterlistigkeit, Heuchelei oder Vorurteile. Die Ausstellungen mit ihrer Darstellung aller möglichen Stellungen, sind befreiend – und bringen einem das Gefühl, das die Lust lustig wirken kann. Man fragt sich nicht mehr, was gibt es denn für Unterschiede zwischen Porno und Erotica.

Was unterscheidet die erotische Kunst von der Pornographie? – Wir tunken da in völliger Relativität – Psychologen, Soziologen, Theologen und hochdenkende Universitätsgurken (Gurken = 97% Wassergehalt) können sich darüber ewig den Kopf zerbrechen. Es gibt keine Antwort. Einem Puritaner ist allerdings das Sinnliche automatisch Pornograhie, für den Nudisten verliert der nackte Körper seinen Reiz und für den Schuhfetischisten sind Pantoffel arbeitslos. Die Erotik des einen ist die Schweinerei des anderen. – Doch am Ende sollten alle so genannten Perversionen als normal bezeichnet werden, wenn sie nicht schädlich wirken.


Die Erotik hat eigentlich viel mehr mit Phantasie zu tun als die groben simplifizierendenSchilderungen der Pornographie: Die Erotik ein Hinweis. Die Pornographie Eiweiß. Die Menschen, ob gelb, schwarz, rot oder gemischt, sind alle gleich, die Frauen mit Scheiden, die Männer mit Entscheidungen. Unsere indes christliche Gesellschaft hat uns mit einer Menge Tabus und Vorschriften beschränkt; doch je mehr Tabus, desto mehr Erotismus. Das Verbotene entwickelt das Obzessionsvermögen. Gott sei Dank! Dieser hat mit seiner Schöpferkraft die Frau entworfen, doch dabei ist er selbst ledig geblieben. – Sein Problem! Der Mensch ist in die Heuchelei getrieben worden und die erotische Kunst wirkt als Befreiung. Sie ist eine Parallel- Kunst, unterschätzt, im Versteck, wie eine verborgene Krankheit, die ansteckend, die Menschheit in einen orgiastischen Zustand versetzen könnte. Wenn Rembrandts Nachtwache eine Situation schildern würde, mit Wächtern umringt von Weibern, die in amouröser Stimmung mit steif strammstehenden Vorstands-Mitgliedern fummeln würden, dann wäre diese Malerei nicht als Meisterwerk anerkannt, und würde auch nicht gezeigt werden. Bei erotischer Kunst handelt es sich auch um Destillation einer Spiritualität – sie ist eine überirdische


Glorifikation, ein heiliges Lob des Körpers, so schön mit Öffnungen ausgerüstet, von allerlei Drüsen besaftet, montiert mit Gliedern, die sich in Harmonie wickeln. Andere Religionen verehren Liebesgötter. Ein Orgasmus öffnet eine Lücke auf die Ewigkeit. Ich selbst habe oft beobachtet, wie manchmal nach einem Liebesspiel die Geschlechtsteile von einem Heiligenschein erleuchtet sind. Die Wollust gibt einem Gesicht eine letzte, transzendente Schönheit, unirdisch. Im Bereich der Ästhetik hat uns die Natur wohl verwöhnt, ob mit Strapsen, Lederkragen oder Feigenblatt (ein Blatt für die Feigen!). Nicht nur wir, aber auch die Wolken, die Pflanzen ... bitte streicheln Sie mal einen Kieselstein oder stecken Sie einen Zeigefinger in eine matschige Birne! „Geil ist Heil“. In der Kommunikation ist Erotismus eine Sublimation, mit Kult und Ritualen – also dankbar sein, wie bei einem Erntedankfest.

Danke für das Gießen und das Genießen
Danke für die Augen, die saugen
die Zungen, die entzünden
für alle teilnehmenden Körperteile,
für das Ächzen, Stöhnen, Heulen und Brüllen,
das die Nachbarn beispielsweise weckt.
Danke für die Zusammenarbeit
durch Kooperation und Koordination
und danke für den Frieden der Befriedigung!

Erotische Kunst ist Ersatz- und Kontrastmittel, Verwirklichung und Ausleben des Undenkbaren auf dem Papier. Da wird auch idealisiert, vergrößert und verzerrt, der pralle Arsch aus der Erinnerung wird noch praller, nimmt mysthische Dimensionen an. Doch am Ende hat man einfach seinen Spaß daran – ohne Grenzen, alles ist möglich auf dem Papier oder der Leinwand. Ob gezeichnet mit Feder, in frischen Hodensaft getunkt, ob gestreichelt mit Scharmhaarpinsel, der Künstler ist ein Bescherer, ein Traumlieferant, identifizieren und was er zeigt, prüfen. Aber bitte probieren Sie nicht zu entscheiden, was Erotik ist und was Porno. Bei mir zuhaus im Studio hängt eine Kopie der „Declaration of Human Rights“. Doch etwas klappt nicht und ich bin damit nicht einverstanden. Wir sind nicht gleich geboren, krepieren aber alle gleich – doch im Durchzug des Lebens besteht eine Gleichfaltigkeit in das Begehren des sexuellen Genießens. In Berlin gibt es keine Mauer mehr – und symbolisch mit diesem Museum ist auch eine Mauer gefallen – eine Mauer, die die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen verbacksteinte – die Kunst des Genießens ist eine Herausforderung. Liebe ist Freizeit. Erlebe die große Freiheit.

Geschlecht ist nicht so schlecht.


Also weiter, alles heiter