Er sucht nach dem besonderen „Kick“, wenn er erotische und metaphysische Welten in seinen Bildern vereint. Zum Beispiel in surrealistischen Räumen. „Bei denen spürt man, dass dort dramatische Liebesakte stattgefunden haben“. Wie poetisch es der Absolvent der Kunstakademie Chelsea School of Art versteht, Figuren, Charaktere und symbolischen Objekte zu versammeln, stellt das EAM jetzt zum zweiten Mal aus. David Russell hat seine besten Stücke zum Geburtstag mitgebracht.

Das Interesse an Erotik ist schon in jungen Jahren bei dem heute in Malta und Paris lebenden Künstler erwacht. „Was Erotik betrifft, bin ich einen großen Schritt weitergekommen, als ich im Alter von 13 Jahren über eine entkleidete russische Ballerina gestolpert bin, die hinter Büschen in Nord-Wales ein Sonnenbad genommen hat.“ Für fundierte künstlerische Grundlagen zur „Erlebnis-Bewältigung“ sorgte sein Großvater, der eine Kunstschule in London leitete. Auch sechzig Jahre später hat das Thema Nummer eins nichts von seiner Faszination auf David Russell verloren: „Für mich ist erotische Kunst nicht von anderen malerischen Sujets zu trennen, ich betrachte sie eher als einen vernachlässigten Aspekt oder als visuelles Leben, das weiterer Erkundung bedarf.“

Weitere Werke von David Russell finden Sie in unserer Galerie.


Die Geometrie der Lust

David Russell – ein Meister seines Faches – lässt das Strahlenbündel seiner intensiven Vorstellungskraft durch die Schattenreiche der Gedanken und Gefühle streifen. Dass er so darauf beharrt, mit Hilfe seiner Belesenheit und seiner visionären Kraft das zu erhellen und zu klären, was in ständigem zynischem Dämmer in fast ganz Nordeuropa und besonders in Großbritannien lebt, hat ihn zu einem ins Exil Verbannten gemacht: eine Position, die er außerordentlich zu genießen gelernt hat, indem er des öfteren die ignoranten und mit Scheuklappen durchs Leben gehenden Moralapostel in die Arena seines oxford-trainierten Debattiergeschickes lockt. Russells Bilder voller Stillle, Sexualität und Traum entspringen nicht der Phantasie. Wir alle kennen sie nur zu gut. Erinnerungen steigen in uns auf: tief eingesenkte Beschwörungen, die in der reichen Fülle unseres Unterbewussten spuken und als Echo widerhallen. Die Strahlkraft dieser Bilder bringt auf kongeniale Weise eine tief liegende Seite unseres Wissens zum Schwingen. Einer Goldader gleich unter dem düsteren Felsmassiv aufgezwungenen Schuldgefühls. Russell hält sie für uns in der Beständigkeit seiner Vision und in seiner rastlosen Erkundung neuer Territorien der narrativen Kunst fest: Ein umfangreiches Werk ist so entstanden, um ein Ideal zu finden. Sich in der Sicherheit eines einzelnen Genres auszuruhen oder das Prestige eines etablierten Stils zu akzeptieren, war ihm unmöglich. Er ist ein Kenner des Verborgenen, mit einem ständigen Bedürfnis, sich mitzuteilen; beharrlich sucht er Veränderungen und Entwicklungen zu ergründen, jede Formulierung in seinem Werk ist mit dem distinktiven Aroma von Geheimnis und Traum – einem anregenden Parfum für das Absonderliche, Wunderliche – versehen.

Die frühen, dunklen und vielschichtigen Bilder sind nach außen gewachsen. Jene fern anmutenden Räume haben sich erhellt. Ihre Innenräume – so überbevölkert mit Abwesenheit und gefirnisst mit Erwartung – haben sich entfaltet, haben sich einer Gattung wunderbarer und starker Geschöpfe geöffnet, die nun den ihnen zugewiesenen Raum in Besitz nehmen und ihm Glanz verleihen. Dabei umgibt eine bestürzende Unschuld die deutliche Erotik dieser Begegnungen. An die Stelle der herkömmlichen Aktzeichnung tritt jener Moment des Unbekleidetseins, gleichsam in der Zeitspanne kurz vor oder nach dem Akt der Verwandlung schwebend – in einer unschuldigen Perspektive, die zurückweist nach Arkadien. Diese Wesen sind aufrecht und gleich, sie verfügen über ihre Freiheit und genießen sie. Jüdisch-christliche Moral hat das Vergnügen ihrer träumenden Körper nicht zu ersticken und zu knebeln vermocht. Gewalt und Eifersucht sind ihnen fremd: Sie gleiten von einer himmlischen Vereinigung in die andere. Der Bildraum, den sie bewohnen, hat auch Teil an ihrer Freiheit: Erdschwere und Perspektive müssen in dieser Welt nicht berücksichtigt oder neu erfunden werden: Hier werden am Vorabend der Erinnerung Kulissen gemalt, als lebendige Darstellung einer untergegangenen legendären Zeit, als sinnliche Kartographierung der Lebenslust: der Eros allen Seins.

Russells Menschanwesen sind nicht mit Roheit und Gier besudelt. Vielmehr eignet ihnen eine klassische Losgelöstheit von allem Niederen, ein Geschenk an unsere sterbenslangweilige Einsamkeit, seine suklidische Geometrie der Lust, die sanft lächelt und uns erlaubt, ihren Widerschein tief in unserer Erinnerung zu erkennen. Brian Catling (Oxford Universität)